SS-Arzt Bruno Kitt

Mechtild Brand: Der SS-Arzt Dr. Bruno Kitt

Bruno Kitt wurde am 9. August 1906 geboren, trat am 1. Mai 1933 der NSDAP und im August desselben Jahres der SS bei. Nach seinem Medizinstudium war er einige Zeit für die Reichsknappschaft in Hamm tätig, von wo er 1940 nach Oberhausen verzog.200 Seine spätere Ehefrau erklärte seinen frühen Eintritt in die SS damit, dass er nur auf diese Weise die lästigen Sonntagsübungen bei der SA habe loswerden können.201 Der Waffenausbildung beim SS-Sanitäts-Ersatzbataillon Oranienburg folgte ab dem 8. Juni 1942 der Einsatz als Arzt in Auschwitz.

Von Januar bis April 1943 war er Lagerarzt für das Frauenlager in Auschwitz II (Birkenau), dann Stationsarzt für die Innere und Infektionsabteilung derSS-Lazarett-Station und arbeitete dort auch für das SS-Hygienelnstitut.202 Innerhalb der Waffen-SS brachte er es bis zum Hauptsturmbannführer. Mit der Evakuierung des Lagers Auschwitz im Januar 1945 kam Dr. Kitt als Lagerarzt in das Konzentrationslager Neuengamme. Bei Kriegsende betreute er in Wehrmachtsuniform einen Häftlingstransport nach Schweden, wobei seinem Verhalten die Ausbreitung von Fleckfieber unter den ehemaligen Häftlingen angelastet wurde. Nach eigenen Aussagen kehrte er anschließend nicht mehr nach Neuengamme zurück. Ob der Bericht, er habe sich selbst den britischen Besatzungsbehörden gestellt, richtig ist, lässt sich aus den vorhandenen Unterlagen nicht beweisen.203 Gemeinsam mit den übrigen Wachmannschaften des KZ Neuengamme stand er im sogenannten Curiohaus-Prozess in Hamburg vor Gericht, wurde am 3. Mai 1946 zum Tode verurteilt und am 7. Oktober desselben Jahres in Hameln hingerichtet.

Hermann Langbein, Häftling und Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz, der sich in seinem Buch „Menschen in Auschwitz“ darum bemühte, das individuelle Verhalten von Opfern und Tätern im Konzentrationslager zu beschreiben, bezeichnet Dr. Kitt als einen von drei SS-Ärzten mit den deutlichsten Hemmungen bei Mordbefehlen. Die Häftlinge konnten ihn manchmal für ihre Vorschläge gewinnen und fürchteten ihn weniger als andere. Sein unmittelbarer Vorgesetzter, der SS-Standort-Arzt Dr. Eduard Wirths, veranlasste die Einschränkung von Tötungen im Lager und die Verbesserung der medizinischen Versorgung der Häftlinge.

Auch wenn solche „Verbesserungen“ in Auschwitz sehr relativ waren, ist festzuhalten, dass nicht alle Ärzte im gleichen Umfang mordeten oder über Leben und Tod entschieden. Dr. Kitt erreichte nach einem Gespräch mit Dr. Wirths, dass er als Lagerarzt des Frauenlagers abgelöst wurde, denn er wollte dort keine Selektionen mehr vornehmen. Deshalb wurde er Truppenarzt mit einer normalen medizinischen Tätigkeit für das Personal, was ihn allerdings nicht vor dem Dienst an der Rampe schützte.204 Dort war er weiter an Selektionen beteiligt, und auf Sterbeurkunden von Hammer Sintikindern findet sich der Hinweis, dass er der anzeigende Arzt war. Er ist ihnen also begegnet.

Während seiner Zeit in Auschwitz hatte Dr. Kitt eine Laborantin des SS-Lazaretts geheiratet. Sein Sohn war bei Kriegsende gerade geboren. Nach einer Zeugenaussage kehrte Dr. Kitt deshalb nach Ende seines Dienstes in Neuengamme zu Frau und Sohn nach Oberhausen zurück, bevor er sich dem britischen Militär stellte.205 Unabhängig davon, ob diese Darstellung stimmt, bleibt festzuhalten, dass Hermann Langbein sicher ist, für Dr. Kitt hätten sich viele Entlastungszeugen gefunden, wenn er erst im Auschwitz-Prozess in den 6oer Jahren angeklagt worden wäre. Es war jedoch unmöglich, in dem System Konzentrationslager nicht schuldig zu werden. Kitts Ehefrau äußerte in einem späteren Gespräch mit Hermann Langbein, ihr Mann habe nie von den Massenmorden erzählt und der süßliche Geruch sei ihr zwar verdächtig vorgekommen, doch habe sie eine Wurstfabrik vermutet. Es ist ihr später nicht gelungen, für ihren Sohn eine Waisenrente zu erhalten.

Wenn man die drei Täterbiografien vergleicht, ist Dr. Kitt der einzige, bei dem sicher ist, dass er Schuldgefühle hatte und zumindest versucht hat, sich aus dem Mordsystem soweit wie möglich herauszuziehen, was ihm aber nicht gelungen ist. Er stand zu einer Zeit vor Gericht, in der auch Otto Hesse und Hugo Beneze noch als untragbar galten, und büßte im Gegensatz zu den beiden anderen für seine Beteiligung an den Untaten des Dritten Reichs. Das Todesurteil gegen ihn wurde vollstreckt. Otto Hesse und Hugo Beneze erhoben immer wieder Einspruch, suchten neue Leumundszeugnisse und hatten keine Hemmungen, sich als besonders verantwortungsbewusste Menschen darzustellen. Dass sie zu denen gehörten, ohne die das nationalsozialistische Unterdrückungssystem nicht funktioniert hätte, scheint ihnen nicht in den Sinn gekommen zu sein. Zumindest findet sich dazu kein Hinweis in den Entnazifizierungsakten. Sie setzten ihr Leben ohne einschneidende Beeinträchtigung in der jungen Bundesrepublik fort.

Für Otto Hesse bleibt festzustellen, dass er sich von dem, was er für seine wissenschaftliche Arbeit hielt, nie verabschiedet hat. Er korrespondierte bis zu seinem Tod mit Hermann Arnold, der nicht nur Zugang zu den in Tübingen lagernden Akten der Rassenhygienischen Forschungsstelle hatte und durch die Vermittlung von Eva Justin den persönlichen Nachlass von Robert Ritter erbte, sondern auch die rassistischen Theorien über Sinti und Roma im Nachkriegsdeutschland verbreitete. Bis zum Beginn der Bürgerrechtsbewegung von Sinti und Roma hatte Hermann Arnold erheblichen Einfluss auf das „Zigeunerbild“ der Bundesrepublik und vertrat die These von einem „pre-diluvialen Wander-Gen der Zigeuner.“206 Otto Hesse war ihm zeitlebens in enger Freundschaft verbunden und belieferte ihn mit genealogischem Material über Sintifamilien im Sauerland. Diese Genealogien lagern im Bestand des Bundesarchivs in Berlin.

Anna Wn. kämpfte bis 1958 um die Anerkennung einer Entschädigung für ihre Haftzeit. Otto Hesse und Hugo Beneze brauchten nur wenige Jahre, um wieder unbehelligt und mit vollen Bezügen weiterleben zu können, lange bevor der Antrag von Anna Wn. auf Entschädigung überhaupt angenommen worden war.

200 Bodo Herzog – Brief vom 30.3.1989 an das Stadtarchiv Hamm.
201 Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Wien 1987. S. 406/407.
202 Biografie KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Manuskript 2004, und Bewzinska, Jadwiga / Czech, Danuta: KL Auschwitz in den Augen der SS. Kartowirz 1981. S.307.
203 Bodo Herzog -Telefonaram15.1.1993.
204 Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. S. 406/407.
205 Bodo Herzog-Telefonat mit der Autorin am 15.1.1993.
206 Katrin Reemtsma: Exotismus und Homogenisierung. Verdinglichung und Ausbeutung. Frankfurt 1996

Auszug aus dem Buch von Mechtild Brand „Unsere Nachbarn Zigeuner, Sinti, Roma – Lebensbedingungen einer Minderheit in Hamm“, Klartext Verlag, Essen.
Wir danken der Autorin für die freundliche Genehmigung.

Beitragbild Dr. Bruno Kitt als Gefangener des britischen Militärs 1945 (Auschnitt),
Bundesarchiv Berlin: Bestand RS/Rasse- und Siedlungshauptamt (ehem. BDC)