Frauen KZ Ravensbrück

Mechtild Brand: Gewaltopfer kennen keinen Schlussstrich

Der November ist voll mit Gedenktagen für die Opfer von Krieg und Terror. Aber es gibt auch noch die Überlebenden mit diesen Erfahrungen. Eine davon ist Maria B., die mir bei meiner Arbeit oft begegnet.

Maria B. war 14 Jahre alt, als die Nazis sie und ihre ganze Familie in das Zwangsarbeitslager Hodonin in der CSSR verschleppten. Im August 1943 kam sie in Auschwitz an und erhielt die Nummer Z9092 unauslöschlich auf ihren Arm tätowiert. Anfang August 1944 transportierte man sie weiter nach Ravensbrück, während ihre Angehörigen in Auschwitz ermordet wurden. Nach der Zwangssterilisation arbeitete sie in verschiedenen Rüstungsbetrieben, bis sie im Frühjahr 1945 nach einem quälenden Todesmarsch in Bergen-Belsen befreit wurde.

Erst in der Nachkriegszeit verstand sie, dass sie nie Kinder haben würde. Sie pflegte ihren Mann mehrere Jahre, bis er an KZ-Folgen starb. Seitdem lebt sie allein.

Trotz dieser Verfolgungsgeschichte erhielt Maria B. keine Entschädigungsrente. Dazu benötigte sie die deutsche Staatsangehörigkeit, die sie zwar mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 verloren, aber keineswegs nach dem Krieg zurückerhalten hatte. Nach einem mehrjährigen Verfahren gelang 1996 die Wiedereinbürgerung. Seitdem erhält sie endlich die ihr zustehende Rente, die ihren Alltag deutlich entlastet hat.

Maria B. fiel mir vor 10 Jahren auf, weil sie mit mehreren Paar Socken übereinander in offenen Latschen im kalten Winter herumlief. Sie hatte während der Lagerzeit schwere Erfrierungen an den Füßen erlitten, und jeder Schritt tut ihr höllisch weh. Also besorgte ich ihr mit großem Aufwand orthopädische Schuhe und war stolz darauf. Doch dann traf ich sie wieder – mit Socken und Latschen! Einen Moment war ich wütend und fragte nach den Schuhen. Sie zeigte sie mir – auf einem kleinen Teppich, frisch geputzt und unter der Heizung. Auf meinen Stoßseufzer hin meinte sie, das seien die ersten richtigen Schuhe seit 1942 und sie wisse schließlich nicht, ob sie noch einmal welche bekomme. Deshalb müsse sie sie schonen und trage sie nur an ganz kalten Tagen!

Maria B. wird bald 80 Jahre alt. In ihren Gedanken und mit ihren Schmerzen hat sie die Konzentrationslager nie verlassen können. Ich habe ihr am Volkstrauertag ein Geschenk vorbeigebracht.

Quelle Beitragsbild: Behandlungsraum im Krankenrevier, um 1941, Fotograf/in unbekannt, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Foto-Nr. 1658.
Vielen Dank für Recherche und Genehmigung v. 27.01.2020 an Britta Pawelke,
Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück / Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.